Die Not mit der Notwehr

Frank Hannig

Ein Jäger erschießt nachts um zwei Uhr in seinem Wohnzimmer einen bewaffneten Einbrecher. Noch vor zehn Jahren wäre das allenfalls der Lokalpresse einen Eintrag wertgewesen. Heute diskutiert eine ganze Nation, ob der Jäger das durfte. Dabei ist die Antwort ganz einfach: Sie steht im Gesetz! 

Strafverteidiger Frank Hannig ist in Berufung zur Strafsache gegangen.

Was glaubt Lieschen Müller von Nebenan oder der bemühte und engagierte, frisch von der Uni ins Volontariat übernommene Redakteur der „Zeit“ eigentlich, wozu Gesetze da sind? Um sie auszulegen? Um über ihren Sinn zu diskutieren? Um zu entscheiden, ob sie zum eigenen moralischen Gefühl passen? Oder zur jeweiligen finanziellen Situation? Oder zum gegenwärtigen Alkoholisierungsgrad?

Der Gesetzgeber schafft Gesetze, damit sie befolgt werden.

Der Notwehr-Paragraf im Strafgesetzbuch regelt nun insbesondere die Frage, ob unter besonderen Umständen eine Straftat nicht bestraft wird. Das ist schon die erste Klarstellung: Der Schuss in den Kopf des Einbrechers ist selbstverständlich eine verbotene, strafbare Tat: „Wer einen Menschen tötet (…) wird bestraft“, so § 212 StGB.

Allerdings muss eine mit Strafe bedrohte Tat auch noch rechtswidrig sein und schuldhaft begangen werden. Eigentlich hat man so etwas schon mal gehört: Im Gesellschaftskunde- oder Ethikunterricht in der Schule, in der Lehre oder in der Vorlesung. Man hat es aber vergessen, nicht verstanden oder nicht darüber nachgedacht. Was heißt das nämlich: Ohne Schuld keine Strafe. Wer im Schlaf seine Ehefrau schlägt, handelt ohne Schuld. Wer als schuldunfähig geistig Kranker einen anderen tötet, wird nicht bestraft. Er ist nicht schuldig! Und was ist mit der Rechtswidrigkeit? Wer ungebeten in eine fremde Wohnung eindringt, macht sich strafbar. Und der Polizeibeamte und Steuerfahnder, der eine Hausdurchsuchung durchführt? Der auch! Es ist verboten, den geschützten Raum der Wohnung zu verletzen – der Polizist hat aber eine Rechtfertigung. Er hat eine richterliche Durchsuchungsanordnung oder handelt aufgrund seines Berufes bei Gefahr im Verzug. Seine an sich verbotene Tat ist nicht rechtswidrig.

Genauso ist es bei der Notwehr: Eine an sich verbotene Tat kann durch „Notwehr“ gerechtfertigt (und damit nicht strafbar) sein, wenn sie geeignet und erforderlich ist, einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff abzuwehren.

Unzählige Jurastudenten haben sich mit ihren Professoren über Details und Spezialfälle dieses Paragrafen gestritten. Aber für den normalen Bürger reicht es zu wissen: Verteidigung gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff plus Erforderlichkeit ist gleich Notwehr.

Der Einbruch stellt an sich schon einen rechtswidrigen Angriff dar, zwar nicht auf Leib und Leben des Hausbesitzers, aber auf sein Eigentum (auch dafür gibt es einen Paragrafen: §34 StGB). Wenn nun aber der Einbrecher auch noch mit einem Messer in der Hand auf mich zukommt, ist das ein Angriff. Er ist auch gegenwärtig, das heißt, er ist noch nicht beendet. Der Schuss in den Kopf ist auch geeignet, den Angriff zu beenden. Das ist nicht schön. Und der Jäger wird deswegen schlaflose Nächte haben. Aber unbestreitbar hat der Kopfschuss die Messerattacke beendet.

Punkt.

Das ist es, was unser Gesetz sagt und was jeder, der eine Waffe führen darf, genau weiß. Jeder Sportschütze, Jäger, Personenschützer oder Polizist lernt das und weiß das. Und er muss sich darauf verlassen können, dass das Gesetz ihn schützt, wenn es denn – schlimm genug – zur Notwehr gekommen ist. Alles andere wäre Anarchie.

 

Immer für Sie da! Rechtsanwalt Hannig