Strafrecht: Zur falschen Zeit am falschen Ort (Teil 1)

Frank Hannig

Strafsachen sind manchmal wahre Wundertüten. Das was am Ende herauskommt, war am Anfang nicht einmal zu erahnen. Dritter Verhandlungstag am Landgericht Leipzig, Berufungskammer in öffentlicher Verhandlung:

Der Angeklagte hat in den drei Tagen keine drei Sätze gesagt, er ist jung und klein, fast schmächtig, wirkt nett, hat keinen Berufsabschluss vorzuweisen und sagt schüchtern, dass es ihm schwerfällt, Worte zu finden vor vielen Leuten. In erster Instanz hat ihn das Amtsgericht verurteilt wegen gefährlicher Körperverletzung: Ein Mann wurde von einer Gruppe Jugendlicher brutal zusammengeschlagen, erlitt schwerste Kopfverletzungen, trug Narben und Schmerzen davon. 9 Monate Freiheitsstrafe sagt das Amtsgericht.

Strafverteidiger Frank Hannig ist in Berufung zur Strafsache gegangen.

„Ich war das nicht“ sagt mein Mandant bei unserem ersten Treffen ganz leise und schaut zu Boden. „Das waren andere Männer, die kennt aber keiner von meinen Freunden.“ „Und wieso sagt Ihr das nicht der Polizei oder dem Gericht?“ fragte ich sofort. „Die glauben uns nicht, die haben das auch nicht aufgeschrieben…“

Ich übernehme das Mandat pro bono, also unentgeltlich, der Junge hat nichts, kann sich keinen Verteidiger leisten, deshalb hatte er ja auch keinen in der ersten Instanz. Aber ich glaube ihm irgendwie seine Geschichte, die sich ganz anders anhört, als das, was im Urteil des Amtsrichters steht. Und ich will Gerechtigkeit. Ich habe es oft erlebt, dass Angeklagte, die ohne Verteidiger kommen, schlechter behandelt werden, als die unter dem Schutz des Verteidigers Stehenden. Das ist nicht fair und nicht rechtsstaatlich und es ärgert mich. Also übernehme ich das Mandat.

Im Urteil steht: Der Angeklagte ging zu dem später Geschädigten, versetzte ihm ohne Grund einen Faustschlag ins Gesicht. Dann zog er ihn zu Boden und trat und schlug gemeinsam mit mindestens 6 anderen nicht namentlich bekannten Personen auf ihn ein, wie er das vorher bereits beabsichtigt und geplant hatte.

Die Berufungsverhandlung beginnt und scheint von einem anderen Fall zu handeln… 50 Menschen sollen an jenem Abend in der Nähe gewesen sein, als es zu der Schlägerei kam. Keiner hat den Angeklagten beim Prügeln oder Treten gesehen. „Er stand mit da, wo das losging…“, „Er war da hingegangen um mit dem zu reden….“ „Er war nicht direkt dabei…“

Die Zeugen werden vernommen, immer mehr, einer nach dem Anderen. Der Richter fragt immer wieder nach, wenn er nicht hört, was er erwartet hat verliest er Protokolle von polizeilichen Vernehmungen. Als Verteidiger schmeckt mir das nicht, ich wittere, dass der Richter voreingenommen ist, fange an, aggressiver zu verhandeln, stelle Anträge, kurz: Ich werde lästig.

Der Richter mag das nicht, wird aber vorsichtiger: Oft schaut er ins Gesetz, bevor er etwas sagt. Das wiederum macht mich vorsichtig- Ich hole das MacBook hervor, öffne meine App, lese nach… Ein Abtasten beginnt: Welcher Antrag ist zulässig, was muss der Richter, was muss er nicht. Ich verzichte nicht auf die Vereidigung von Zeugen, das Gericht lehnt Beweisanträge ab, ich widerspreche der Entlassung eines Zeugin und will ihn erneut vernehmen, der Richter verbietet mir das Wort, wir streiten. Es ist Sommer und das Landgericht Leipzig ist nicht klimatisiert. Es ist heiß und die Stimmung ist mies. Der Richter beschließt: „Ich befreie die Anwesenden vom Robenzwang.“ Und setzt sich im Shirt an seinen Tisch. Ich will ihn provozieren, behalte Sakko und Robe an. Er wundert sich, fragt nach. Ich sage ihm, dass Berufsbekleidung doch keine Frage des Wetters, sondern des Respektes vor dem Beruf und der Würde des Gerichtes ist… Oh nein, wir sind keine Freunde… nach 8 Zeugen ist der Tag zu Ende. Wir verhandeln weiter.

 

Fortsetzung folgt…

Immer für Sie da! Strafverteidiger Hannig (Dresden)

 

 

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