Das hässlichste Gericht der Welt

Frank Hannig

Termin am Landesarbeitsgericht Chemnitz

 

Eigentlich hatte ich gar keinen Gerichtstermin. Entspanntes Frühstück, dann ins Büro, Schreibkram erledigen und zeitig nach Hause, die letzten Sommerstunden genießen. Da klingelte allerdings das Telefon dazwischen. Meine Mitarbeiter ganz aufgeregt: „Chef, Riesen- Problem: Mandant Meyer hat vergessen, uns eine rechtzeitig Klage zu schicken.“ Ich war noch ganz entspannt und entgegnete launig: „Das passiert ihm ja nicht das erstmal, legen Sie es mir auf den Schreibtisch.“ „Nein, nein… Richtig vergessen. Berufung zum Landesarbeitsgericht Chemnitz. Meyers Firma ist Beklagter und Termin ist in einer Stunde.“ Nun gut, das reduzierte umgehend das Frühstücksvergnügen ganz erheblich. Wie kann den sowas passieren, frage ich mich immer wieder. Ich werde schon panisch, wenn ich mal eine Mahnung von 1und1- Internet bekomme, weil ich die blöden Email- Rechnungen immer als Werbemails betrachte und offensichtlich ignoriere. Aber wie kann ich denn eine Berufungsschrift übersehen, die kommt ja immerhin per Einschreiben in einem großen dicken gelben Umschlag! Und dann kommt ja auch noch die Ladung zum Termin in einem dicken gelben Umschlag. Zu dem Termin übrigens, der in nunmehr 55 Minuten am Landesarbeitsgericht Chemnitz beginnt…

Sächsisches Landesarbeitsgericht Chemnitz

Also. Kaffee stehen lassen, Krawatte raussuchen, Robe ins Auto werfen und los auf die Autobahn. Wenn es unter uns bleibt, kann ich ja mal ganz leise flüsternd verraten (bin ja ein klein wenig stolz und schäme mich gleichzeitig auch ein wenig), dass ich irgendwann mal nachts für die 80 km von Dresden nach Chemnitz nur 17 Minuten gebraucht habe- ohne zu bremsen freilich und vielleicht auch nicht immer ganz legal- allerdings: das war mitten in der Nacht. Heute war die Autobahn verstopft, die Stimmung im Keller, die Sonnenbrille zu Hause auf dem Küchentisch vergessen… Das lief ja nicht so perfekt. 10 Minuten zu spät endlich angekommen. Ich bin ja Strafverteidiger, ich bin echt selten am Landesarbeitsgericht Chemnitz.

Aber ich wußte noch: Hässliches Gebäude, winzig kleines Schildchen draußen dran, keine richtige Tür sondern eine Hofeinfahrt, die eher zu einem mittelständischen Fischhändler passen würde als zum höchsten sächsischen Arbeitsgericht… und keine Parkplätze weit und breit. Also fand ich die Idee clever, gleich in einer Parallel- Straße zu parken, bergauf vom Gerichtsgebäude (Rückfront) gerade mal 200 Meter Luftlinie entfernt. Auto abstellen, Macbook nicht vergessen (wenn alles geklappt hatte, müßte darauf per Email aus meinem Büro wenigstens mal die Berufungsschrift angekommen sein)… schnell Bergab gehastet Richtung Gericht. Doch ich hatte die Rechnung ohne den Wirt, in dem Fall den deutschen Häuslebauer, gemacht. Da wo sich früher mal ein Trampelpfad den Berg hinab zum Gericht schlängelte, erwartete mich jetzt ein Bauzaun. Nicht dass es da schon ein bewohnbares Haus oder Grundstück gegeben hätte. Aber den Zaun gab es jedenfalls. Und nun? Drüber klettern? Im Anzug? (und in meinem Alter?) Eher nicht. Aus alten Studentenzeiten war mir natürlich noch geläufig, wie man die Verschraubung dieser Bauzäune aufhebeln und den Zaun dann aus der Fassung heben kann.

Also los… 15 Minuten zu spät (also gerade noch rechtzeitig) stürmte ich in den verwinkelten Eingangsbereich des Gerichtes. Keine Eingangskontrolle, kein Pförtner, kein Wachtmeister. Die hässlich weiß gekalkten Wände erinnern eher an ein Krankenhaus aus diesen alten 50er Jahre- Horrorfilmen als an ein Gericht. Die Eingangstüren zu den Verhandlungssälen sehen auch nicht viel besser aus als die Eingänge zu den Teeküchen und Behandlungszimmern in eben jenen Krankenhäusern. Aber wenigstens weisen Computerausdrucke im A5- Format den Weg in die eigentlichen Verhandlungsräume. Diese sind von innen dann überraschenderweise gar nicht so schlecht… Geschafft. Verhandlung kann beginnen.

Wie es ausging? Völlig sinnlos. Ich mußte meine Email noch nicht einmal lesen. Der Richter erteilt dem Gegner so viele Hinweise zu Bedenken und Problemen in der Berufungsschrift, dass dieser die Berufung zurücknimmt. Gewonnen nur durch durch Anwesenheit! Was für ein eigenartiges System- unsere deutsche Justiz. Hätte man das nicht auch im schriftlichen Verfahren klären können? Mussten dafür 3 Richter und 2 Anwälte im hässlichen Landesarbeitsgericht den Sommertag verpassen? Und vor allem: musste ich nur deswegen mehr als einen Kilometer Umweg zu meinem Auto laufen? Am Bauzaun stand jetzt nämlich ein grimmig guckender Bauarbeiter und erwartete mich… also schlenderte ich ganz beiläufig an ihm vorbei und suchte mir den langen, langen offiziellen Weg zurück zu meinem Parkplatz.

 

Immer für Sie da! Rechtsanwalt Hannig auf für Arbeitsrecht (Dresden)

 

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